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An den letzten Besuch kann sich der 53-Jährige kaum noch erinnern, als er wieder einem Arzt gegenübersitzt. Der Mann nutzt eine Sprechstunde des Allgemeinmediziners Achim Lauer, der bis vergangenen Oktober eine Praxis in Aarbergen betrieb. Eigentlich ist er im Ruhestand, doch bietet er nun in der Rudolf-Schuy-Straße 8 Hilfsbedürftigen eine Sprechstunde an.

Kein erhobener Zeigefinger

Direkt das Zimmer neben dem Gemeinschaftsraum ist das Sprechstundenzimmer in der städtischen Einrichtung für Wohnsitzlose. Seit Februar 2017 gibt es diese Einrichtung für Menschen mit traurigen Biografien, Drogenabstürzen, Familientragödien und gescheiterten Plänen.

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Für Achim Lauer ist klar: „Der größte Fehler ist der erhobene Zeigefinger. Die Leute sind, wie sie sind.“ Leider ist es so, dass die Hemmschwelle bei Menschen ohne festen Wohnsitz oder solchen, die auf der Straße Leben, hoch ist, wenn es darum geht, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen.

In „normalen“ Arztpraxen nicht willkommen

Gehen Obdachlose in die Sprechstunde einer „normalen“ Arztpraxis, sind sie dort nicht gerne gesehen. Zu spüren bekommen sie das auch oftmals. So ist die Skepsis bei den Betroffenen naturgemäß groß. Das soll sich mit der offenen Sprechstunde von Lauer ändern. „Wir wollen ein medizinisches Angebot machen, dass angenommen wird“, so Michael Friedrich, Diplom-Sozialarbeiter des Caritasverbands Limburg und Mitglied der ambulanten Fachberatungsstelle im Walter-Adlhoch-Haus, die in die Betreuung der Bewohner der Unterkunft in der Rudolf-Schuy-Straße mit eingebunden sind.

Quantensprung in der Versorgung

Sozialdezernent und 1. Stadtrat Michael Stanke sagt: „Das ist ein Quantensprung in der Versorgung und unterstreicht, dass wir uns als Stadt bemühen, unserer Verantwortung gerecht zu werden.“ Jessica Magnus ist Sozialarbeiterin der Stadt, Ansprechpartnerin und zugleich Unterstützerin der Wohnsitzlosen. Sie treibt die medizinische Versorgung voran: „Wir werden noch eine Liege besorgen und die Grundausstattung für das Sprechzimmer stellen.“

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Eine medizinische Versorgung der Wohnsitzlosen findet bereits statt. Sie ist über den Malteser Hilfsdienst aufgebaut worden und läuft über einen Arzt in Weilburg, der auch weiterhin zur Verfügung steht. Jessica Magnus und Michael Friedrich sind überzeugt, dass mit der Sprechstunde in der Rudolf-Schuy-Straße die Versorgung deutlich verbessert wird und solch eine medizinische Versorgung den betroffenen Patienten näherkommt.

In Limburg sind viele Wohnsitzlose noch krankenversichert

Achim Lauer kennt die Beschwerden derer, die die meiste Zeit ihres Lebens auf der Straße verbringen: offene Stellen am Körper, eitrige Wunden, vielfach aber auch Krankheitserscheinungen und -bilder, die Folge eines langen übermäßigen Konsums von Alkohol sind. Seit 16 Jahren ist der Arzt bereits in der Obdachlosenbetreuung in Wiesbaden aktiv. Allerdings sind in Wiesbaden viele seiner Patienten nicht mehr in einer Krankenkasse, was die medizinische Versorgung erschwert. In Limburg hingegen ist die Quote derer, die noch in einer Krankenversicherung sind, deutlich höher, wodurch die meist anschließende Medikamentenversorgung gesichert ist. Rezeptgebühren für die Medikationen trägt das Walter-Adlhoch-Haus aus einem Gesundheitsfonds.

Sprechstunde richtet sich an Menschen in prekären Lebenssituationen

Nicht nur Bewohnern der Rudolf-Schuy-Straße 8 soll die medizinische Versorgung zugutekommen, sondern auch allen Personen, die nicht krankenversichert sind oder sich in einer prekären Lebenssituation befinden. Dieses Angebot soll weiter ausgebaut werden: „Wir wollen […] keine Insellösungen schaffen, sondern wollen ein Netzwerk an medizinischer Versorgung aufbauen“, macht Achim Lauer klar.

Daher gibt es auch Gespräche mit dem Landkreis, mit dem Ärztenetzwerk piano und anderen, die zur medizinischen Grundversorgung beitragen können. „Wir brauchen Fachärzte, die bei psychischen Erkrankungen weiterhelfen oder auch dann zur Verfügung stehen, wenn es drogeninduzierte Erkrankungen gibt“, so der Allgemeinmediziner weiter. Dringend miteinbezogen werden sollten nach Auffassung von Achim Lauer auch Apotheken, Krankenhäuser und Sanitätsfachgeschäfte.

Mainzer Modell als Vorbild für die medizinische Versorgung von Wohnungslosen

Lauer sagt über seine Sprechstunde: „Wer kommt, der kommt.“ Vorbild für ihn ist das „Mainzer Modell“, das vom Mediziner und Sozialpädagogen Dr. Gerhard Trabert ins Leben gerufen und aufgebaut wurde. Das „Mainzer Modell der gesundheitlichen Versorgung von wohnungslosen Menschen“ sorgt für ärztliche, pflegerische und sozialarbeitstechnische Hilfe im Rahmen von medizinischen Sprechstunden in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und Unterkünften für Geflüchtete. Zudem gibt es in Mainz ein „Arztmobil“, das dort zu den wohnungslosen Menschen auf der Straße fährt.

Wichtiges Ziel: Die aufsuchende Versorgung

Auch in Limburg würde eine aufsuchende medizinische Hilfe angestrebt, so Michael Friedrich. Dafür sei aber kein „Arztmobil“ notwendig. Friedrich mach die Problematik deutlich: „Menschen mit besonderen sozialen Benachteiligungen haben eine hohe Hemmschwelle, um medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oftmals können sie auch keine Sprechstunden mehr aufsuchen.“ Deshalb ist die aufsuchende Versorgung auf jeden Fall ein wichtiges Ziel.

Bewährte Kraft als Unterstützung für Achim Lauer

Vorerst soll es aber mit der Sprechstunde einen Einstieg in eine verbesserte medizinische Versorgung geben. Achim Lauer kann dabei auf eine bewährte Kraft setzen: Christa Geier steht ihm als Arzthelferin zur Seite. Sie war bereits in der Zeit, als Achim Lauer seine Praxis in Aarbergen hatte, dort als Arzthelferin tätig. Sie steht dem Mediziner in Rudolf-Schuy-Straße weiter zur Seite.

Runder Tisch, um sozial benachteiligte besser zu versorgen

„In der ersten Sprechstunde hatte ich vier Patientinnen und Patienten. Nach der Vorstellung des Angebots eine Woche zuvor beim gemeinsamen Kaffeetrinken war das ein guter Auftakt“, berichtet Lauer. Die Sprechstunde findet:

     jeden Dienstag ab 9 Uhr in der Rudolf-Schuy-Straße 8

statt. Für jeden, der zur Sprechstunde möchte, ist eine Voranmeldung über das Walter-Adlhoch-Haus unter:

>      06431 948210

nötig. Für Achim Lauer ist des Weiteren ein runder Tisch wichtig, an dem Krankenhäuser, Rettungsdienste und das Ärztenetzwerk piano zusammenkommen, um die Versorgung sozial schwacher Menschen zu verbessern.

 (lm)

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